
Natürlich wartete ich anschließend gespannt auf die 2. Staffel – und wurde nicht enttäuscht! Es kamen neue interessante und sympathische Charaktere hinzu, zum Beispiel Farmer Hershel (Scott Wilson) und seine Familie. In dieser den Menschen so feindlich gesinnten Welt schien jede unüberlegte Aktion brutale Konsequenzen zu haben. Ich litt mit Carol (Melissa McBride), die ihre Tochter verlor, und kochte innerlich mit Rick, der von seinem besten Freund Shane (Jon Bernthal) betrogen wurde. Zugleich freute ich mich für Maggie (Lauren Cohan) und Glenn (Steven Yeun), die sich trotz der bitteren Umstände ineinander verliebten.

Eine der großen Stärken der ersten „Walking Dead“-Staffeln war, dass buchstäblich hinter jeder Ecke der Tod lauerte - und selbst die Hauptfiguren nicht davor gefeit waren, in der nächsten Sekunde den Löffel abzugeben (man denke nur an Lori oder Hershel). Aber die ständige Angst, dass ein liebgewonnener Charakter plötzlich und überraschend das Zeitliche segnen könnte, ist schon lange verflogen. Zwar leben die Protagonisten in einer von Zombies und einem psychopathischen Schurken mit Baseballschläger und Privatarmee dominierten Welt – doch trotzdem fürchtet man in keiner der Szenen, die besonders bedrohlich wirken sollen, um seine Lieblinge. Stattdessen soll die verlorengegangene Spannung durch kalkulierte Schockeffekte wieder heraufbeschworen werden, die sich jedoch meist als nicht mehr als heiße Luft entpuppen: In der 12. Episode der 7. Staffel sollte man als Zuschauer glauben, dass Rick von einer Gruppe Zombies gefressen wird, während sein Herzblatt Michonne (Danai Gurira) hilflos und verzweifelt zusieht – doch nur wenige Minuten später hüpft der Ex-Polizist schon wieder quicklebendig aus einer Kiste, die Untoten haben sich lediglich an einem Reh gelabt.

Ein weiterer Grund für die mangelnde Spannung ist der mittlerweile auffällig repetitive Charakter der Serie, der sie so unheimlich ausrechenbar macht. Anscheinend ist Scott M. Gimple, der ab der vierten Staffel das Ruder als Showrunner übernommen hat, der Meinung, das perfekte Rezept gefunden zu haben, um die Zuschauer bei der Stange zu halten: Jede Staffel beginnt mit zwei bis drei actiongeladenen Folgen, in denen es einen großangelegten emotionalen Moment gibt (der Tod von Bob, Glenns Beinahe-Tod und natürlich Lucilles Schlachtfest), bevor dann mehrere ruhigere (oder eher: langweilige) Episoden folgen, die den Fokus jeweils auf einzelne Figuren legen und kaum dramatische Höhepunkte enthalten.
Vor dem Mid-Season-Break nach der 8. Folge jeder Staffel entgleitet die Situation dann schließlich und es gibt wieder ein trauriges Highlight (Hershels, Beths und Deannas Tode) und in der Regel einen Cliffhanger, damit auch nach dreimonatiger Pause die TV-Geräte wieder in zweistelliger Millionenhöhe eingeschaltet werden. Die zweite Staffelhälfte folgt dann größtenteils demselben Schema wie die erste: Folge 9 löst den Cliffhanger dramatisch auf, danach gibt es wieder einigen leidlich unterhaltsamen Leerlauf, bis ein actionreiches Finale die Staffel mit einem Knall zu Ende bringt. (Der eigentliche Konflikt der Staffel wird hingegen natürlich nicht zu einem Ende gebracht, stattdessen wird eher noch ein zusätzliches neues Fass aufgemacht – schließlich sollen die Fans für die kommenden Monate genug Diskussionsstoff haben.)

Selbstverständlich bringt es bereits das Konzept der Serie mit sich, dass immer wieder beliebte Figuren den Serientod sterben und dafür neue eingeführt werden müssen. Wenn jedoch für jeden ausgeschiedenen Charakter gefühlt drei Neue nachrücken, bläst sich der Cast immer weiter auf, bis man schließlich die Handlung vor lauter Figuren nicht mehr sieht. Viele spielen dann teilweise für mehrere Episoden keine Rolle, verschwinden im Schatten. So bekamen in den vergangenen Staffeln nur wenige Protagonisten überhaupt die nötige Menge an Screentime, um sie als abgerundete Figuren zu porträtieren. Dabei wäre das gerade bei einigen neu eingeführten Charakteren enorm wichtig gewesen.
Spätestens ab der fünften Staffel und dem neuen Zuhause in Alexandria wurde dieses Problem dann immer deutlicher: Plötzlich gehören etliche neue Gesichter zur Darstellerriege und all die Spencers, Jessies und Aarons bleiben blass, werden nicht richtig ausgeleuchtet und so auch nie in irgendeiner Weise für den Zuschauer interessant. Dennoch rücken etablierte Figuren wie Daryl (Norman Reedus) oder Carol durch ihre neuen Mitstreiter immer mehr in den Hintergrund – und so stehen sich die aktuell mehr als 30 Haupt- und Nebencharaktere selbst im Weg. Außer Anführer Rick und Nemesis Negan (Jeffrey Dean Morgan) werden sie alle stiefmütterlich behandelt, der eine mehr, der andere weniger.
Neben diesen drei Gründen gibt es noch einige weitere Schwächen, an die ich mich mit der Zeit aber sogar gewöhnt habe und über die ich gerne hinwegsehe – die Dialoge, die oft direkt aus einer südamerikanischen Seifenoper ins Englische übersetzt zu sein scheinen, die vielen Logiklöcher und Kontinuitätsfehler oder das oft unglaubwürdige, an Teenie-Slasher erinnernde Verhalten der Protagonisten in Gefahrensituationen. Trotzdem sitze ich jedes Jahr aufs Neue vor meinem Fernseher, investiere jede Woche 45 Minuten in die Abenteuer von Rick und seinen Kumpanen. Und ich weiß, dass es einer Vielzahl treuer „Walking Dead“-Anhänger genauso geht. Aber woran liegt das bloß?

Aber es gibt noch einen weiteren Grund, der bei mir mittlerweile genauso wichtig ist, wie die Verbundenheit mit den Charakteren: Wie sonst wahrscheinlich nur „Game Of Thrones“ ist „The Walking Dead“ trotz abnehmender Zuschauerzahlen ein beständiges weltweites Massenphänomen. Rund um den Globus wird über das nächste brutale Blutbad diskutiert, genauso wie über die nächste öde oder enttäuschende Episode. Kollektives Aufregen macht nun mal ähnlich viel Spaß wie kollektive Freude. Das zeigt sich momentan auch wieder in den sozialen Netzwerken: Neben den vielen Fans, denen die Staffel trotz aller Schwächen wieder gefallen hat, wird sich natürlich auch wieder massenhaft öffentlich in Rage geschrieben und die finale Episode als endgültiger Sargnagel für die Serie identifiziert. Und dennoch wird sich nichts daran ändern, dass im Oktober wieder Millionen Zuschauer vor ihren Fernsehern sitzen, wenn der Auftakt zur achten Staffel „The Walking Dead“ über die Bildschirme flimmert. Und selbstverständlich werde ich einer davon sein.